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Die Andachten des Gorlebener Gebets finden wieder offiziell
und
öffentlich statt!
Laut der Niedersächsischen Verordnung, gültig ab 11.5.2020, §2c,
sind Zusammenkünfte zur Religionsausübung auch im Freien zulässig. Wir
müssen die geltenden Hygienemaßnahmen einhalten:
* Mund- Nasen- Schutz während der Veranstaltung
* Mindestabstand von 1,5m zu jeder anderen Person, die nicht dem eigenen
Haushalt angehört.
Auf den Bänken sind Strohkissen im Mindestabstand ausgelegt.
Wer kann, möge einen Stuhl mitbringen – im Wald ist genügend Platz! |
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Gorleben (epd).
Ein "Kreuzweg für die Schöpfung" führt in diesem Jahr von Gorleben in
Niedersachsen zum Dorf Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler in
Nordrhein-Westfalen. Die knapp 500 Kilometer lange Strecke werde in 26
Etappen absolviert, teilte die Bürgerinitiative Umweltschutz
Lüchow-Dannenberg am Donnerstag mit. Der Weg führt unter anderem am
Atomkraftwerk Grohnde bei Hameln, dem Kohlekraftwerk Datteln im Ruhrgebiet,
der Zentrale des Energiekonzerns RWE in Essen und dem Sitz der
nordrhein-westfälischen Landesregierung in Düsseldorf vorbei.
Start ist am 4. Juli am ehemaligen Endlagerbergwerk Gorleben. Die
Teilnehmer führen ein großes Holzkreuz mit sich. Zu der Aktion haben den
Angaben zufolge Klima- und Umweltinitiativen, christliche Gruppen und
kirchliche Institutionen aufgerufen. Der Kreuzweg stelle sich in die
Tradition der langjährigen Proteste der Anti-Atom-Bewegung, hieß es. Schon
1988 trugen Aktivisten aus Wackersdorf in Bayern ein Kreuz an den damals
neuen Brennpunkt Gorleben.
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Die EJZ am 31.3. in
einer Sonderveröffentlichung über „Beschäftigung in Corona-Zeiten“
Christa und H.D. Kuhl:
Südwestfunk
Interview mit Gebetsteilnehmern
HIER HÖREN
Deutschland-Radio vom 16.4.19
Interview mit Christa Kuhl
HIER HÖREN |
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Deutschlandradio Kultur_
Beten gegen Atomtransporte
25 Jahre Widerstandsgebet in Gorleben Von Thomas
Klatt
Beitrag hören
-
- Ein Schild weist am in Gorleben den Weg zum
Erkundungsbergwerk. Der Name des Dorfs ist seit Jahren wegen 113
Behältern radioaktiven Mülls bekannt, die im Wald auf ein Endlager
warten. (picture alliance / dpa)
Wie lange dauert ein Gebet? Eine Minute, zwei,
fünf. Aber 25 Jahre? In Gorleben, wo ein Atommüll-Endlager geplant
ist, treffen sich so lange schon Christen, Muslime, Juden und
Buddhisten bei Wind und Wetter zum "Gorlebener Gebet".
Hafner-Reckers: "Jeden Sonntag, seit 25 Jahren, egal ob es
geregnet hat oder die Sonne warm war, oder es auf dem Sylvester
fiel, immer. Jeden Sonntag."Die Yoga-Lehrerin Elisabeth
Hafner-Reckers organisiert derzeit das wöchentliche Gorlebener
Gebet. Auch wenn sie selbst mit ihrer Familie erst seit sieben
Jahren im Wendland wohnt, den Geist des Atomwiderstandes hat sie
schon voll und ganz verinnerlicht.
"Was können wir denn Besseres tun, als uns an der Bibel zu
orientieren, an den Geschichten aus dem Alten Testament, in denen ja
auch immer wieder beschrieben wird, wie Menschen in völlig
hoffnungslosen und ausweglosen Situationen sich verhalten haben und
was sich daraus entwickelt hat?"
Als zu brav belächelt?
Der letzte Atommüll-Transport war 2011, und ein wenig Ruhe
scheint ins Wendland eingekehrt zu sein. Aber der nächste Castor
kommt bestimmt. Allein jetzt schon lagern in Gorleben 113
Castor-Behälter in einem eigenen Areal unweit des
Erkundungsbergwerkes. Ist Beten wirklich die richtige
Widerstandsform dagegen? Oder wird das nicht von anderen
Castor-NIX-Gegnern als zu brav belächelt?
Hafner-Reckers: "Nein, das wird sehr ernst genommen. Das ist
eben das Bezaubernde hier an diesem Widerstand, dass wir sagen, wir
sind einheitlich in dem Ziel, aber wir respektieren die
unterschiedlichen Widerstandsformen und fangen nicht an, uns
gegeneinander auszuspielen. Wenn hier vor den Castoren 200 Menschen
vor den Kreuzen gestanden haben und die Pastoren rumgegangen sind
und gefragt haben: Sollen wir Euch segnen? Und haben das dann auch
gemacht, das war so was Anrührendes. Und das zeigt auch Wirkung."
Widerstandsmotivation durch das Beten
Auch nach 25 Jahren können selbst Junge sich mit dieser
christlichen Form des Widerstandes anfreunden. Wie etwa Sonja
Barthel von der Evangelischen Studierenden-Gemeinde Oldenburg.
"Die meisten Leute, die beim Gorlebener Gebet sind, haben auf der
Straße gesessen, sitzen immer wieder auf der Straße. Diese Menschen
ziehen einfach aus dem Gebet, das es zusätzlich gibt, unglaublich
viel Kraft und Hoffnung, der den anderen Widerstand, der nebenher
auch läuft, lebendig hält und immer wieder bestärkt auch. Und zum
anderen liefert das einem auch eine Widerstandsmotivation, zu sagen,
aus meinem Glauben heraus setze ich mich ein ganz bewusst zur
Bewahrung der Schöpfung. Und da gehört Widerstand gegen die
Atomenergie ganz selbstverständlich mit dazu."
Auch wenn die Kreuze das christliche Symbol der Passion und
Wiederauferstehung Jesu Christi sind, so sind die Gebete und Lieder
in Gorleben interreligiös getragen. Zum Festtag spricht die
buddhistische Menschenrechtsaktivistin Stella Tamang aus Nepal. Sie
fühlt sich schon lange mit dem Bürgerprotest im Wendland verbunden.
"Das was hier falsch gemacht wird, was hier kaputt geht, das
beeinträchtigt ganz sicher auch die Menschen im Himalaja. Für mich
ist euer Gebetsplatz eine sehr heilige Pilgerstätte."
"Ist Atomkraft koscher?
Auch die jüdische Kantorin Jalda Rebling aus Berlin-Prenzlauer
Berg kommt immer wieder zu den Kreuzen unweit des sogenannten
Erkundungsbergwerkes in Gorleben.
"Ist Atomkraft koscher? Ne Frage, die mein Lehrer Reb Schachter
Schalomi vor 40 Jahren gestellt hat. Damals wurde er ausgelacht für
die Frage. Und heute diskutiert die jüdische Welt darüber. Wie gehen
wir um mit der atomaren Bedrohung, die wir durch die sogenannte
friedliche Nutzung von Atomenergie in die Welt setzen?"
Die jüdische Künstlerin Anna Adam fährt ihren "Happy Hippie Jew
Bus" auf das Gelände, in und an dem bunte Protestfähnchen gebastelt
werden. Diese werden als Dauerprotest rund um das
Hochsicherheitssperrgelände des Erkundungsbergwerkes gespannt.
Erstes Kreuz kam aus Wackersdorf
"Es soll weitergeführt werden. Das ganze Projekt soll
wachsen. Da vorne steht ein Fass, das ist das Aktionsfass, und da
findet man Fähnchen, Tacker, Stifte. Und unsere Hoffnung ist, dass
das über Wochen und Monate weiter geführt wird, bis das gesamte
Areal mit Fähnchen umrandet ist. Und meine allergrößte Hoffnung ist,
dass die Leute auch wieder positive und schöne und kreative Ideen
bekommen und wieder zu Kräften kommen. Die sind teilweise ganz schön
müde geworden."
Das erste Kreuz wurde 1988 während der ökumenischen
Friedenswallfahrt aus dem bayerischen Wackersdorf hierher gebracht.
Ein Jahr später begannen die regelmäßigen wöchentlichen
Protest-Andachten. Der Widerstand gegen die Atomkraft aber ist noch
älter. Zu den Urmüttern der Bewegung gehört Marianne Fritzen.
Weltberühmt das Schwarz-Weiß-Foto von Günter Zint: Die kleine Frau
mit der Pudelmütze, die ängstlich-skeptisch auf eine martialisch
anmutende Polizeireihe blickt. Die engagierte Katholikin und später
langjährige Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz
Lüchow-Dannenberg wollte schon Anfang der 1970er-Jahre die Kirchen
mit ins Protestboot holen. Damals ging es noch um den Bau eines
Atomkraftwerkes.
Protest war umstritten bei Evangelischen Kirche
"Es war zumindest umstritten seitens der Evangelischen
Kirche. Bei uns war das nie umstritten. Da hatten ja vor allem die
Pastoren sehr viel Ärger damit. Das Kreuz trägt man nicht auf die
Straße, das war einer der Gründe. Es dürfe politisch nicht
missbraucht werden. Zu der Zeit, als wir angefangen haben, da hatten
wir noch eine ganz strikte Pro-Atom-Regierung, und die Pastoren
waren natürlich auch dafür, und ich war ja in der Kirche engagiert,
vorher als Pfarrgemeinderatsvorsitzende. Und da wollte ich gern
einen Vortrag machen lassen zur Atomenergie, aber es wurde von
meinen Kollegen abgelehnt."
Das Atomkraftwerk wurde nicht gebaut, dafür aber das
Erkundungsbergwerk und Atommüllzwischenlager für die Castoren. Den
heutigen Bischof der evangelischen Landeskirche von Hannover, Ralf
Meister, erfüllt es mit Scham, wenn er zurückdenkt.
"Ich erinnere für unsere Kirche selbstkritisch daran, dass es
1980 zu Pfingsten war, als Pastor Gottfried Mahlke in Gartow die
Predigt am Bohrloch 1004 untersagt wurde. Die Erinnerung an mutige
Zeugen wie Pastor Mahlke und seine Ehefrau und viele, viele andere
gehören auch in die Erinnerung, auch in eine schuldhafte Erinnerung
unserer Landeskirche."
"Ein Thema der gesamten Gesellschaft"
Neben Mitgliedern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft
sitzt Ralf Meister nun als Vertreter der Evangelischen Kirche in der
bundesdeutschen Kommission zur Endlagersuche. Er fordert Transparenz
und Bürgerbeteiligung. Auch wenn hier nun schon über Hundert
Castoren zwischenlagern, eine Vor-Festlegung auf Gorleben als
Endlager dürfe es nicht geben. Denn die Atommüllfrage sei letztlich
ein nationales Problem.
"Ich selbst hab vor einigen Monaten auch schon meine
Bischofskollegen und Bischöfinnen in Deutschland angeschrieben und
gesagt, nehmt dieses Thema auch in eure Landessynoden, das ist ein
Bundesthema. Das ist eben kein Thema der Hannoverschen Landeskirche,
es ist kein Thema im Wendland allein, sondern es ist das Thema der
gesamten Gesellschaft."
Der Kampf ist also längst noch nicht zu Ende. Und auch nach 25
Jahren wird es weiterhin Sonntag für Sonntag das Gorleben-Gebet wohl
geben müssen.
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Beharrlicher Protest an den Gorleben Kreuzen
Ein
Neustart in der Endlagersuche. Für die Initiative Gorlebener Gebet
ändert das nichts
Von Karen Miether (epd)
Gorleben/
Kr. Lüchow-Dannenberg (epd). Elisabeth Hafner-Reckers holt Planen
und Strohsäcke aus einem Verschlag - Nässeschutz und Polster.
Richtig bequem wird der Sitzplatz auf einem mit Bohlen befestigten
Erdwall auch damit nicht. An Birken, Kiefern und vier Holzkreuzen
vorbei fällt der Blick auf das Erkundungsbergwerk im
niedersächsischen Gorleben. An jedem Sonntag treffen sich hier im
Wald Menschen zum "Gorlebener Gebet", seit 25 Jahren schon. So lange
der Salzstock als Endlager für Atommüll in der Auswahl bleibt,
wollen sie damit weitermachen - mindestens.
"Wenn
Gorleben als Standort aufgegeben wird, werden wir 25 Jahre weiter
hier sitzen und Gott danken", zitiert Elisabeth Hafner-Reckers einen
langjährigen Mitstreiter. Die Gruppe rechnet sich zur
Protestbewegung gegen die Atomanlagen, die an den Wald angrenzen.
"Ob bei Kälte oder strömendem Regen, noch nie ist ein Gorlebener
Gebet ausgefallen", sagt Koordinatorin Christa Kuhl. Am 29. Juni
feiert die Initiative mit dem hannoverschen Landesbischof Ralf
Meister als Gast ihren Jahrestag der Beharrlichkeit.
"Das
Gorlebener Gebet ist ein hoffnungsweckendes Beispiel dafür, wie
widerständig der christliche Glaube sein kann", sagt der
evangelische Bischof. Längst ist die Initiative in der Kirche
anerkannt. In den Anfangsjahren allerdings wurde sie mit Misstrauen
betrachtet, denn im Wald predigen nicht nur Theologen. Mal spricht
ein Ehepaar im Wechsel, dann wieder gestaltet ein Studentenchor die
Andacht. Muslimische Frauen haben schon Friedenstexte aus dem Koran
vorgelesen.
Seit 1989
werden die "Gorlebener Gebete" regelmäßig gefeiert. Doch ihre
Geschichte reicht weiter zurück und ist eng verknüpft mit dem Streit
um die Atomkraft in Deutschland. 1985 haben Atomkraftgegner erstmals
ein Holzkreuz nach Gorleben getragen. Auseinandersetzungen mit den
Behörden und mit Kirchenvertretern begleiteten seinen Weg vom
Kraftwerk Krümmel bei Hamburg ins Wendland.
1988
beteiligten sich rund 6.000 Menschen an einem Protestmarsch vom
bayerischen Wackersdorf nach Gorleben. Brüchig geworden steht das
Kreuz von damals noch dort, angelehnt an einen Baum. Auch die
anderen Kreuze wurden bei "Kreuzwegen für die Schöpfung" in den Wald
geschleppt - 2001 etwa von Lüneburg entlang der letzten Etappe der
Castor-Transporte aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La
Hague ins Gorlebener Zwischenlager.
Die
Atommüll-Halle, in der 113 Behälter mit Kernbrennstoffen lagern,
liegt kaum einen halben Kilometer vom Andachtsort entfernt. Zuletzt
rollten im November 2011 Castoren nach Gorleben, begleitet von
Massenprotesten. Mit ihnen stieg auch die Besucherzahl der
Gorlebener Gebete oft auf mehr als 150 an. Aber selbst jetzt,
nachdem die Politik einen Neustart für die Suche nach einem atomaren
Endlager angekündigt hat, kommen Kuhl zufolge rund 30 Menschen jede
Woche - so auch an diesem Tag.
"Es wird
keine objektiven Kriterien für ein Endlager geben, solange Gorleben
in die Suche einbezogen ist und in den Köpfen spukt", sagt Elisabeth
Hafner-Reckers. Doch nicht nur für eine politische Umkehr mit Blick
auf Gorleben beten die Frauen und Männer. "Wir bitten um Frieden und
Hilfe gegen den Hunger in der Welt", ergänzt Christa Kuhl: "Es geht
um Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung."
Die
ungezwungene Atmosphäre unter freiem Himmel zieht auch Menschen an,
die sonst in keine Kirche gehen. "Für mich ist das hier die
Gemeinde", sagt Ruth Meiners aus Salzwedel. Seit 15 Jahren kommt sie
hierher. Mittlerweile ist sie 84 und hat einen bequemen Klappstuhl
dabei. "Wenn Gorleben bei der Endlagersuche rausfällt, treffen wir
uns aus anderen Anlässen", sagt sie. Doch die Skepsis überwiegt:
"Wir glauben nicht daran." (3033/13.06.14)
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Das Gorlebener Gebet: Für das stetige Wachen

Foto: Cornelia Kurth
Unter den Gorlebener Kreuzen treffen sich seit 25 Jahren Menschen
zum Widerstand gegen die Atomkraft.
Das Gorlebener Gebet: 25 Jahre lang,
jeden Sonntag bei Wind und Wetter, mal zu Hunderten und mal nur
Zweien oder Dreien, wird im Wald beim geplanten Endlager für
Atommüll dafür gewacht und gebetet, dass verantwortungslos
erscheinende Energiepolitik nicht die Zukunft der Schöpfung
gefährdet. Was eint die Menschen an, was lässt sie wiederkommen?
Eine Reportage aus dem Wendland.
30.06.2014 | von
Cornelia Kurth
"Wir sind furchtlos, ja!" Das sagt Hans-Dieter Kuhl, einst
Bewährungshelfer, 78 Jahre alt, und seine 75jährige Frau Christa,
pensionierte Lehrerin, nickt ihm lächelnd zu. Die beiden sind alte
Kämpfer, erfahren im Demonstrieren und Diskutieren, längst gelassen
im Umgang mit wehrhafter Polizei und ausgesprochen stoisch, wenn es
darum geht, in Wind und Wetter protestierend auszuharren. Ziemlich
außergewöhnliche Bürger, und doch heute nur ein Paar unter so vielen
anderen Menschen, deren Leben von dem geprägt ist, was sie
"Widerstand" nennen, Widerstand gegen den Einsatz der Atomkraft und
vor allem Widerstand gegen das geplante Endlager für den strahlenden
Müll im Erkundungsbergwerk Gorleben.
"Fast alle, die sich an diesem Sonntag im Wald vor dem
Erkundungsbergwerk zusammenfinden, haben "Kampf-Geschichten" zu
erzählen, standen schon vermummten Hundertschaften der Polizei
gegenüber, saßen in Straßenblockaden, flohen vor Wasserwerfern oder
unterstützten diejenigen Castor-Gegner mit Speis, Trank und
Ermutigung, die sich an den Transportgleisen zum Zwischenlager
festgekettet hatten. Heute aber feiern sie den 25. Geburtstag eines
meist eher stillen und gerade deshalb fast um so beeindruckenderen
Protestes, das "Gorlebener Gebet", und sie feiern die Tatsache, dass
sich wirklich ein Vierteljahrhundert lang jeden einzelnen Sonntag,
sommers wie winters Menschen fanden, die eine Andacht hielten an
diesem Ende der Welt, manches Mal zu Vielen und von der Presse
begleitet, meistens aber nur mit einer Handvoll Betender und ohne
einen anderen Zeugen als Gott.
"Was hast Du gemacht, damals?"
In einer Waldschneise treffen sich die Teilnehmer des "Gorlebener
Gebetes", 300 Meter vom Eingang des Bergwerkes entfernt, mit Blick
auf den Bohrturm, der sich bedrohlich wie der Turm einer feindlichen
Burg erhebt, dort, wo drei große Holzkreuze stehen, das erste von
ihnen 1988 aus dem bayrischen
Wackersdorf 1113 Kilometer quer durch Deutschland bis ins
abgelegene Wendland auf dem Rücken von Demonstranten angeschleppt.

Foto: Cornelia Kurth
Marianne Fritzen (rechts) und Evelyn Stendel wollen nachfolgenden
Generationen eine saubere Welt hinterlassen
Marianne Fritzen war damals dabei, jetzt 90 Jahre alt, ebenso wie
ihre Freundin, die fast 80jährige Evelyn Stendel, die das Holzkreuz
ebenfalls trug, "aber nur kurz", sagt die zierliche Frau, "man will
die Sache ja schließlich gesund überleben." Was sie eint, spricht
Christa Kuhl aus: Das Bedürfnis, nicht beschämt und sprachlos
dazustehen, wenn Kinder und Kindeskinder fragen: "Was hast Du
gemacht, damals, als sie bereit waren, die Zukunft zu verraten?"
Nicht nur die Veteranen kommen an diesem Sonntag zur
traditionellen Gebetszeit um 14 Uhr, auch jüngere Leute sind unter
den wackeren Betern, darunter die Kinder und Enkelkinder des
Ehepaars Kuhl, chorsingende Studenten aus Oldenburg, die Gäste aus
Namibia mitbringen, die beiden jüdischen Künstlerinnen Jalda Redling
und Anna Adam aus Berlin, die dafür sorgen, dass sich ein Band aus
1000 bunten Gebetsfahnen entlang der Bäume rund um das
Erkundungsbergwerk zieht.
Zeitreise mit "Atomkraft - Nein
Danke"-Schildchen
Bevor man sich nämlich bei den drei Holzkreuzen trifft, startet
ein "Widerstands-Marathon", der einmal um das mit Nato-Draht
abgeschirmte Bergwerk führt, von dessen Mauern Wachleute betont
gleichgültig herabschauen.
Lesen Sie dazu auch
Man stärkt sich zuvor mit Bio-Limo und dem Gesang der allerersten
Protestlieder ("Das Wendland bleibt frei!") und steht dabei in der
Nähe eines Schiffes, ja, der Greenpeace-Beluga, die im letzten Jahr
auf der Waldlichtung ihren letzten Hafen fand. Wer noch nie in
Gorleben war, kann sich wirklich zurückversetzt fühlen in die 1980er
Jahre, wo selbstverständlich jeder, der was auf sich hielt, ein
"Atomkraft - Nein Danke"-Schildchen trug, wo die Frauen ihre langen
Haare offen trugen und die Männer in bunten Hosen herumliefen.
Yogalehrerin Elisabeth Hafner-Reckers aus dem benachbarten Rehbeck,
Organisatorin der Gebetstermine, sie wirkt mit ihrer runden Brille,
ihrem Lachen und der orangen Jacke immer noch wie das Mädchen von
damals, das bei den Demos die Fahne trug.
Da stehen und sitzen nun alle nach dem "Marathon", an dessen einer
Station Wolfgang Ehmke von der
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) eine
flammende Rede hielt, im Wald bei einem Holzunterstand, wo Berge von
Obst, Brötchen und Bioaufschnitt sich türmen, und man fühlt sich wie
auf einem Geburtstagsfest, dessen Höhepunkt gleich beginnen wird.
Zum ungefähr 1.500. Mal versammeln sich dann alle bei den drei
Holzkreuzen, und neben Vertretern der katholischen Kirche wird als
besonderer Gast der hannoversche Landesbischof
Ralf Meister erwartet, mit Spannung, sitzt er doch seit kurzem
in der Endlager-Kommission, die entscheiden wird, wie es mit
Gorleben weitergehen soll.

Foto:Cornelia Kurth
Bischof Ralf Meister lobt Atom-Widerstand im "Gorlebener Gebet".
"Ihr missbraucht das Kreuz!" - diesen harten Vorwurf nämlich, wie
er oftmals aus Politik und auch der Kirche erhoben wurde, werden
Hans-Dieter und Christa Kuhl niemals vergessen. "Ich weiß noch zu
gut, wie es hieß: 'Ihr werdet doch wohl nicht in Gottes Namen eine
Technik behindern wollen, die so viel Gutes für die Zukunft bringen
wird", sagt Hans-Dieter Kuhl. "Dabei hatte es da den Super-Gau in
Tschernobyl schon gegeben." Was also würde der Landesbischof sagen,
welche Richtung seine Predigt nehmen? Propst Stephan Wichert-von
Holten von der Propstei Lüchow war eher vorsichtig und sprach davon,
Gott zu danken für jede "kleinste Erfüllung" von 25 Jahren Gebeten,
die doch aber immer aufs Ganze gingen, nämlich, dass Schluss sein
soll mit Zwischenlager und vor allem mit den zweifelhaften
Endlagerplänen.
Landesbischof Meister ließ sich auf keinerlei Kompromiss ein. Er
schilderte, wie er vor vier Jahren zum ersten Mal und ganz allein
den geschichtsträchtigen Gebetsplatz im Abenddämmerungs-Wald
besuchte und ihm klar wurde, dass das Gorlebener Anliegen zu einem
der wichtigsten Anliegen auch der Landeskirche werden müsse; wie er
daran dachte, dass zwei Balken und zwei Schrauben schon ausreichen,
um eine Hinrichtungsstätte in Form des Kreuzes zu errichten, und
dass bereits durch zunächst vielleicht harmlos erscheinende Taten
Leid, Schmerz und Zerstörung entstehen kann.
Atomkraftgegner blicken zuversichtlich in die
Zukunft
"Ich will nicht verschweigen, dass die Kirche diesen Ort mit
Argwohn betrachtete und das Gorlebener Gebet am liebsten verhindert
hätte", sagte er. Das kontinuierliche Gebet aber habe der
Möglichkeit zur gesellschaftlichen Umkehr Gehör verschafft, auch in
der Landeskirche.
"Wir müssen uns bewusst sein, dass zum Handlanger der Zerstörung
schon werden kann, wer allein den herrschenden Ideologien vertraue",
so Meister weiter. "Auch, wer den Widerspruch nicht pflegt und
lieber schläft statt wacht, kann zum Mittäter werden." Das
Gorlebener Gebet sei "ein entschiedener Versuch gegen die
Versuchung, einfach nur dahinzudämmern". Hätte es sich nicht um eine
Andacht, sondern um eine politische Rede gehalten, die über hundert
Teilnehmer wären wohl alle aufgesprungen und hätten stehenden
Applaus gespendet.

Foto: Cornelia Kurth
Hans-Dieter Kuhl ist erfahren im Kampf gegen die Atomkraft.
Statt dessen sangen sie zum Abschied das schöne "Bleibet hier,
wachet und betet", und machten sich dann auf ins in der Gegend
weithin berühmte
"Widerstands-Gasthaus Wiese" in Nachbardorf Gedelitz, wo es
Jubiläumstorte zu verspeisen galt und man sich erneut versprach, im
Fall, dass Gorleben endgültig als mögliches Endlager ausscheide,
Gott weitere 25 Jahre lang für den Erfolg zu danken. "Ich fange
schon jetzt damit an", meinte Hans-Dieter Kuhl. "Denn ich weiß, ich
weiß, dass wir Erfolg haben!" |
29. Juni 2014 epd
Landesbischof Meister lobt Atomkraft-Widerstand
im "Gorlebener Gebet"
Gorleben/Kr. Lüchow-Dannenberg (epd). Der hannoversche
Landesbischof Ralf Meister hat das "Gorlebener Gebet" im
Wendland als Beispiel für "widerständige Aufmerksamkeit mit
langem Atem" bezeichnet. Im Wald neben dem
Erkundungsbergwerk im niedersächsischen Gorleben sagte er am
Sonntag in einer Predigt, hier gehe es darum, den
Möglichkeiten zu Umkehr und Einsicht gesellschaftlich und
politisch Gehör zu verschaffen. Seit 25 Jahren kommen
Menschen jeden Sonntag im Wald zusammen, um dafür zu beten,
dass der Gorlebener Salzstock kein Atommüll-Lager wird.
Die Organisatoren rechnen sich deshalb zur Protestbewegung
gegen die Atomanlagen, die an den Wald angrenzen. "Wie sehr
die Gesellschaft diese Mahnung braucht, erleben wir an der
Endlagerfrage", sagte Meister. "Heute gilt es, die Fehler
einer falschen Energiepolitik aufzuarbeiten und mühsam den
Ausgangspunkt für neues Vertrauen suchen." Der
Vertrauensverlust, den die Gesellschaft durch die
Energiepolitik vergangener Jahre erlitten habe, wiege
schwer. Meister ist Mitglied einer bundesweiten Kommission,
die bis spätestens 2016 Kriterien für die Suche nach einem
Atommüll-Endlager erarbeiten soll.
Meister sagte, Menschen müssten keinen großen Aufwand
betreiben, um sich mit Tod und Zerstörung zu verbünden. Zum
Handlanger der Zerstörung könne schon werden, wer allein den
herrschenden Ideologien vertraue. "Aber auch, wer den
Widerspruch nicht pflegt und lieber schläft statt wacht,
kann zum Mittäter werden." Das Gorlebener Gebet sei "ein
entschiedener Versuch gegen die Versuchung, einfach nur
dahinzudämmern".
Seit 1989 werden die "Gorlebener Gebete" regelmäßig
gefeiert. Doch ihre Geschichte reicht weiter zurück und ist
eng verknüpft mit dem Streit um die Atomkraft in
Deutschland. 1985 haben Atomkraftgegner erstmals ein
Holzkreuz nach Gorleben getragen. Auseinandersetzungen mit
den Behörden und mit Kirchenvertretern begleiteten seinen
Weg vom Kraftwerk Krümmel bei Hamburg ins Wendland.
1988 beteiligten sich rund 6.000 Menschen an einem
Protestmarsch vom bayerischen Wackersdorf nach Gorleben.
Brüchig geworden steht das Kreuz von damals noch dort,
angelehnt an einen Baum. Auch andere Kreuze wurden bei
"Kreuzwegen für die Schöpfung" in den Wald geschleppt - 2001
etwa von Lüneburg entlang der letzten Etappe der
Castor-Transporte aus der französischen
Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Gorlebener
Zwischenlager.
Die Atommüll-Halle, in der 113 Behälter mit Kernbrennstoffen
lagern, liegt kaum einen halben Kilometer vom Andachtsort
entfernt. Zuletzt rollten im November 2011 Castoren nach
Gorleben, begleitet von Massenprotesten. Mit ihnen stieg
auch die Besucherzahl der Gorlebener Gebete oft auf mehr als
150 an. Aber selbst jetzt, nachdem die Politik einen
Neustart für die Suche nach einem atomaren Endlager
angekündigt hat, kommen jede Woche etwa 30 Menschen, um zu
beten.
Copyright:
epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen
|
27.06.14
HAMBURGER ABENDBLATT Andacht bei Wind und Wetter:
25 Jahre Gorlebener Gebet
Seit 25 Jahren treffen jeden
Sonntag Menschen am Atommülllager in Niedersachsen, um
gegen die Atomkraft zu demonstrieren. Am kommenden
Sonntag hält der evangelische Landesbischof eine
Andacht
Foto: dpa
Am Sonntag wird der
evangelische Landesbischof Ralf Meister von 14 Uhr
an an der Gebetsstätte eine Andacht halten
Gorleben. Es ist der
wohl andächtigste Protest am Atommülllager Gorleben:
Seit 25 Jahren treffen sich dort jeden Sonntag
Menschen, um gegen die Atomkraft zu demonstrieren.
"Egal ob bei Wind, Wetter, Schnee oder Eis – das Gebet
ist noch nie ausgefallen", sagt die 90 Jahre alte
Marianne Fritzen, die schon beim ersten Gebet 1989
dabei war. Am Sonntag wird der evangelische
Landesbischof Ralf Meister von 14 Uhr an an der
Gebetsstätte eine Andacht halten.
Bei den Veranstaltungen
im Wald nahe des Erkundungsbergwerks wird gesungen,
gemahnt oder philosophiert – und das interreligiös.
"Mit dabei sind Katholiken und Protestanten. Mal sind
es islamische Gottesdienste, mal leitet eine jüdische
Kantorin die Veranstaltung", sagt Dieter Reckers vom
Initiativkreis des Gorlebener Gebets. "Heute sind es
im Schnitt etwa 30 Menschen, die sonntags am Gebet
teilnehmen."
Das Gorlebener Gebet hat
seinen Ursprung 1988: Damals marschierten
Atomkraftgegner mit einem sechs Meter hohen Holzkreuz
vom bayerischen Wackersdorf nach Gorleben. Unter
diesem und Kreuzen weiterer Märsche versammelten sich
einige Monate später jeden Sonntagmittag Menschen.
(dpa)
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